ZUKUNFTSWERKSTATT | Nr. 9 | 20.05.2021

Wes Brot ich ess, des Lied ich sing.
 
Das "Soli Deo Gloria", abgekürzt S. D. G. oder s-d-g, wird gerne als fünftes der vier "Solas" (sola gratia, sola verbo, sola scriptura, sola fide) der Reformation bezeichnet. Insbesondere Johann Sebastian Bach (1685-1750) war dafür bekannt, auf seinen Werken das "Gott allein (sei) die Ehre" zu vermerken. Eine solche Signatur hat zweifelsohne den Charakter eines Bekenntnisses und für die Periode seines kirchenmusikalischen Schaffens ist das für J. S. B. gewiss auch passend. Die Qualität und der immense Umfang seines musikalischen Schaffens sprechen für sich und betonen diese Widmung in besonderer Weise.
 
Aber Bach konnte nicht nur "fromm". Neben seinen Anstellungen als Organist oder Kantor war er auch als Konzertmeister, Kapellmeister und Hofkompositeur tätig und komponierte auch in diesem Umfeld das, wofür man ihn bezahlte. Man konnte damals durchaus der fürstlichen Jagd eine Kantate widmen (BWV 208), die dann als "Tafelmusik" zur Aufführung kam. Heute allseits betont wird die Zeit Bachs als Thomas-Kantor in Leipzig (1723-1750), die Bach die besten beruflichen Voraussetzungen bot. Johann Sebastian Bach war 43 Jahre lang "Profi". Wer Johann Sebastian Bach bei Wikipedia eingibt, kann sich einen detaillierten Überblick über das Leben und Wirken dieses Ausnahmemusikers verschaffen. Im Bach-Werke-Verzeichnis (BWV) sind 1128 "Werke" verzeichnet, wobei auch komplette Konzertkompositionen jeweils nur 1 "Werk" sind. Die gesamte Liste nebst weiterführenden Links findet sich selbstverständlich ebenfalls bei Wikipedia.
 
Trotz des S. D. G. gibt es auch zu Johann Sebastian Bach unterschiedliche Meinungen, was der Künstler eigentlich "sagen" wollte. Er war Lutheraner, zeigte sich aber auch der Aufklärung gegenüber aufgeschlossen und arbeitete mit Pietisten zusammen. Die Theologie seiner Werke ist markant und eindrücklich, ohne dass er Theologie studiert hätte, und dass es ihm ein Anliegen war, sein Musikschaffen der Profilierung der Verkündigung zu widmen, das erschließt sich jedem Betrachter, der einmal auf die Texte der Bachschen kirchenmusikalischen Werke schaut.
 
Kann man also Bach also ein Vorbild für die heutige Musikerschaft nennen? Ja und unbedingt sogar, denn er hat dem Spruch "Wes Brot ich ess, des Lied ich sing" eine neue Bedeutung gegeben. Wikipedia bzw. Wiktionary wissen zu berichten, dass der Spruch mit dem Brot und dem Lied schon 1000 Jahre alt ist und auch von anderen europäischen Sprachen verwendet wird. Die Deutung des Spruchs wird gleich mitgeliefert: "Ich muss die Interessen, den Standpunkt, die Ansichten desjenigen vertreten, bei dem ich in Lohn und Brot stehe, von dem ich also wirtschaftlich abhängig bin".
 
Dies nennt man auch gerne den professionellen Ansatz. Berufsmusiker und -sänger spielen halt am Freitag ein Worship-Konzert, am Samstag einen Tanz- und Trinkabend mit Covermusik und am Sonntagmittag eine Jazz-Matinee. Man tut was bezahlt wird und passt sich wie ein Chamäleon perfekt der jeweiligen Umgebung und den Wünschen des Auftraggebers an. Schließlich hat man genau das gelernt und studiert, oder? Ein Musiker/Sänger ist ja auch "nur" ein Handwerker, der seines Lohnes wert ist?
 
Ja und Nein. Wer Musik zum Beruf gemacht hat und nicht sein "eigenes Ding" machen will oder kann, der muss spielen, was des Weges kommt und mit Unterricht und mancherlei anderen Dingen die Lücken zwischen den Engagements füllen. Das ist so und auch nicht zu kritisieren. Dies wird aber dann verhängnisvoll, wenn es dazu führt, neue Wege zu blockieren. Wo nur gesagt wird "ich koste" und dies das einzige Kriterium ist, dass etwas stattfinden kann, da zeigen sich die Grenzen auf, aber letztlich auch neue Perspektiven. Für die Zeit nach Corona wird sich die ganz große Frage stellen, wo es denn dieses "in Lohn und Brot stehen" in der frommen Musikszene überhaupt noch geben kann.
 
Kirchenmusikalische und gemeindliche Festanstellungen sind rar und werden zukünftig noch deutlich seltener werden, also wird sich alles noch mehr auf die Unternehmenden konzentrieren, d. h. die Interpreten, die eigeninitiativ tätig sind und folglich auch als Arbeit- und Auftraggeber und Geldüberweiser fungieren. Deren natürliches Korrektiv ist jedoch die Verkaufbarkeit ihres Angebots, was die Bezahlbarkeit explizit mit einschließt. In den "fetten Jahren" hat man Zahlen immer nur addiert: Die Anzahl der Musiker ergibt soundsoviel tausend Euro Honorar, plus Technik plus Fahrtkosten plus Umsatzsteuer. All dies hatte der Veranstalter zu bezahlen, völlig egal ob das Gesamtbudget eines Konzertes an der Eingangstüre refinanzierbar war oder nicht. Es war alleinige Aufgabe des Veranstalters, sich um die ausufernden "Miesen" zu kümmern…
 
Sicherlich, Kultur war und ist immer ein Minus- und Zuschussgeschäft und letztlich kann es auch Kreativität genannt werden, wenn man erfolgreich an Fördermittel und Sponsorengelder heran kommt. Dies gilt ja auch für viele andere Bereiche des gesellschaftlichen Lebens. Viel vermeintlich "Diakonisches" oder "Soziales" findet auch nur dann statt, wenn es bezahlt wird. Als Voraussetzung, wohl gemerkt!
 
Für die Musik, die fromme, ist das keine Perspektive. Die Szene braucht nicht mehr fremdsubventionierte Arbeit, sondern neuen Freiraum zur Entwicklung von Ideen und Initiativen, damit sie auch wirtschaftlich wieder in sinnvolle Bahnen kommen kann. Die Frage nach dem "Soli Deo Gloria" wird die neue Herausforderung in der Nach-Corona-Zeit sein, denn "gute" Musik als Konkurrenz gibt es mehr als genug. Neben der Qualitätsfrage wird es eindeutige und zuordnenbare Inhalte und Profile brauchen, wenn christliche Musik wieder wahrgenommen werden soll. Die Szene muss durch das Corona-Nadelöhr gehen und einen Selbstreinigungsprozess akzeptieren, der definitiv auch Substanzverlust bedeuten wird. Aber dafür wird Neues entstehen können, dass dann auch Zukunft hat - geistlich, musikalisch, gesellschaftlich und wirtschaftlich.
 
Der Besuch der zukünftigen Konzerte nebst den Verkäufen von Songs definieren das "Brot" von morgen. Wo es keinen Besuch und keinen Verkauf gibt, da gibt es auch kein Brot und auch kein "Soli Deo Gloria". Die Hut- oder Kollektensammlung als Ersatz für Bares am Eingang gehören ebenfalls zum "Broterwerb". Überleben wird der, der beide Ansätze gut ausbalanciert umsetzen kann.
 
Hans-Martin Wahler



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