ZUKUNFTSWERKSTATT | Nr. 18 | 21.04.2022

Eine Ruine am Schulweg…
 
Mein Schulweg führte mich sieben Jahre lang an der Ruine eines Wohnhauses vorbei, die man anscheinend vergessen hatte. Sämtliche anderen Häuser im weiten Umfeld waren bereits neu erbaut bzw. wieder aufgebaut, nur von diesem einen, ehemals stattlichen Haus, waren noch hoch aufragende Reste von drei Außenwänden zu sehen. Man konnte den Eindruck gewinnen, dass die Ruine als Mahnmal erhalten werden sollte. Aber dem war nicht so. Später wurde die Ruine abgerissen und dort ein Wohnkomplex in die Bebauung eingefügt.
 
Der 16. Dezember 1944 war für die Stadt Siegen der Tag der größten Zerstörung im 2. Weltkrieg. Kaum ein Gebäude in der Innenstadt blieb unzerstört, es waren viele Tote und Verwundete zu beklagen. Der Angriff vom 16.12.1944 und sämtliche anderen Luftangriffe der englischen und amerikanischen Bomberverbände sind umfassend dokumentiert worden. Man kann in Online-Archiven detailliert nachlesen, wie viele Flugzeuge eingesetzt waren, wer da unterwegs war (die Namen der Crew-Mitglieder) und welche „Fracht“ in welcher Menge wann wo von welchem Flugzeug abgeworfen wurde – oder umständehalber halt irgendwo anders…
 
Auch heute sieht man wieder Bilder der Zerstörung durch Bomben und Raketen. Viele Städte in der Ukraine sind schon Ruinenlandschaften – und die „zweite Phase“ des Krieges in der Ukraine hat gerade erst begonnen. Wir werden uns auf noch viel mehr solcher Bilder einstellen müssen. Von den massiven Zerstörungen insbesondere der Stadt Siegen sind zahlreiche Fotos und Zeitzeugenberichte erhalten geblieben, aber letztlich wir werden die Schrecken des damaligen Krieges und die Not der Menschen nur erahnen können. Man hat damals keine Toten fotografiert und es gab auch keine hoch auflösenden Satellitenaufnahmen.
 
Die Photomontage im Header zeigt links den Innenraum der Siegener Martinikirche kurz vor Beginn des Wiederaufbaus nach dem zweiten Weltkrieg und rechts den Zustand in der heutigen Form. Unser „Narrativ“ in Sachen Krieg sind die Bilder aus der Ukraine, die einerseits frappierend ähnlich wirken, andererseits aber noch schrecklicher sind, denn gegenüber dem, was heute „verballert“ wird, wirkt das Waffenarsenal des 2. Weltkriegs quasi harmlos und was früher über weite Strecken mit Flugzeugen transportiert und abgeworfen werden musste, fliegt heute von ganz alleine über weite Entfernungen in die vorprogrammierten Koordinaten.
 
Mich erschrecken die Bilder der Kriege und als jemand, der mal Geschichte studiert hat, weiß man natürlich auch viel über die anderen Kriege, die nach 1945 stattgefunden haben. In den letzten Monaten habe ich manches neu gelernt über den Vietnamkrieg und seine Hintergründe – die Bilder der Zerstörung und des Leids durch die abgeworfenen Napalmbomben hat man damals als Zeitzeuge schon als entsetzlich wahrgenommen. Und wir konnten damals ja nur sehen, was „das Fernsehen“ mit seinen seinerzeit drei Programmen als „Kriegsberichterstattung“ zeigen durfte. Das ist heute gänzlich anders. Man ist quasi live dabei und kann sich sogar Beiträge gegensätzlicher Seiten anschauen.
 
Was das mit Zukunft zu tun hat? Niemand kann wissen, wie der Krieg in der Ukraine weitergehen wird und mit welchen direkten und indirekten Folgen wir in Europa zu tun haben werden. Aber jeder Krieg hat irgendwann auch mal ein Ende und es beginnt die Phase des Wiederaufbaus. Es braucht immer länger als die Zeitspanne einer Generation (25 Jahre), bis es eine neue Normalität gibt und die Schrecken eines Krieges in den Hintergrund gerückt sind. Unser Problem werden nicht die sichtbaren Ruinen sein, sondern die unsichtbaren. Der neue „Kalte Krieg“ wird unsere gewohnte Welt auf den Kopf stellen, auch die fromme Welt. Zu den Ruinen der ehemaligen Kirchen und Gemeindehäuser und Konzertorte werden sich weitere „säkularisierte Räume“ gesellen und wenn jetzt mehr als 50 Prozent aller Deutschen sagen „ich nix wissen“ von Glauben und so, dann weiß man, was zukünftig angesagt ist.
 
Aber es gibt auch keine Konzepte oder Heilmittel, die alles wieder „gut“ machen können. Das Lehrbuch unserer Zukunft muss erst neu geschrieben werden. Ich hätte mir nicht vorstellen können, dass die „Zukunftswerkstatt“ 18 Ausgaben sehen würde. Die Idee war, über die Verknüpfungen von gestern, heute und morgen nachzudenken und den Blick auf die Zeit nach Corona zu richten. Leider haben sich nur wenige Autoren finden lassen, ihre Gedanken und Ideen in Worte zu fassen (ihnen gilt mein ausdrücklicher Dank), deshalb mag sich in meinen Beiträgen sicherlich einiges an Gedanken wiederholt haben. Seit Ende Februar 2022 stehen wir nun vor der Situation, dass ein Krieg und eine Zeitveränderung dazu gekommen sind, die viel gravierendere Veränderungen mit sich bringen werden als Corona.
 
Der GospelNetwork-Newsletter geht deshalb nun wieder zurück zur „normalen“ monatlichen Übersicht von Terminen und Themen der christlichen Musikszene in der Region. Es wird wieder eine kurze Sommer- bzw. Ferienpause geben, aber die zunehmende Tendenz von Termineintragungen macht grundsätzlich Hoffnung, dass im Herbst das eine und das andere Event mit christlicher Musik stattfinden wird. Was die Zukunft bringen wird, wird sich zeigen…

Hans-Martin Wahler




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