ZUKUNFTSWERKSTATT | Nr. 16 | 24.02.2022

Darf’s noch etwas mehr sein?

So fragt man heute nicht mehr an den Verkaufstheken. Die Formulierung „kommt da noch was zu?“ wirkt deutlich neutraler, stellt sie das kommerzielle Interesse zumindest verbal etwas in den Hintergrund. Auch Bestellungen von Musikaufführungen sind heutzutage skalierbar. Dem Anlass und dem Budget des Veranstalters entsprechend spielen und singen Musiker vor der Kamera alles, was in den Kategorien Zuhause & Wohnzimmer, Geburtstag & Familie, Feiertage & Anlässe, Liebe & Hochzeit, Mitarbeiter- & Familienfeiern und Events & Tagungen gewünscht wird. „Digital Concerts“ heißt das Metier, der Anbieter heißt SofaConcerts und angeboten werden „Online-Events mit Live-Musik“.

„SofaConcerts“ hat aber noch mehr zu bieten und die Aktivitäten sind keineswegs auf Wohnzimmer und Sofas beschränkt. Musiker können unter einer Unmenge an Locations die passende wählen, wie z.B. einen Veranstaltungsort mit diesem Steckbrief:

• Hamburg, DE
• Café / Laden
• 40 Gäste
• classical indie pop, punk rock
• Hutgage mit Garantie
• Übernachtung nach Absprache möglich
• 2 Schlafplätze
• Keine Technik vorhanden - bitte bringt mit, was ihr braucht!

Da hat man doch schnell mal eine schöne Tournee zusammengestellt und kann sich auf nette Konzerte und Begegnungen mit Besuchern freuen. Gewiss, pro-bono Gigs (unbezahlt, ehrenamtlich) oder Barter Deals (Tauschgeschäfte) sind ausgeschlossen und die Agentur ist immer mit 20 Prozent der Gage dabei, aber weil ja alles privat und nicht-öffentlich ist, spart man Werbung, Pressearbeit und GEMA-Aufführungsgebühren und jeder kann seine Kosten gering halten. Also ein gutes Geschäft für beide Seiten?

Gegen Wohnzimmerkonzerte dieser Art ist grundsätzlich nichts einzuwenden. Sie hat es zu allen Zeiten gegeben, die Idee ist keineswegs neu oder innovativ. Die Resonanz (beispielsweise bei den Wohnzimmerkonzerten in der Siegener Oberstadt) zeigt den Bedarf und für Musiker sind ein paar Euros in der Tasche immer besser als gar keine Euros. Eine kleine Stäbchen-PA und ein paar LED-Lampen auf Stativen besitzt eh jeder, also bliebe nur die Frage der Anreise – der Rest findet sich von ganz alleine. Es ist eigentlich ganz einfach, Konzerte in kleinstem Rahmen durchzuführen und alle Beteiligten glücklich zu machen.

Bei der Online-Ausgabe der Sofakonzerte sieht das ganz anders aus. Da sitzt ein Musiker mutterseelenalleine zuhause vor einer Kamera oder zwei und begeistert die zahlreichen Hochzeitsgäste mit wunderschönen Liebesliedern, die exaktestens dem Geschmack des Brautpaars und der Gäste entsprechen. Eine Stunde später ist dann musikalisch-therapeutische Entspannung angesagt für die Teilnehmer einer Tagung mit thematisch passenden und inspirierenden Songs. Leistbar ist das durchaus, aber ebenso herausfordernd und anstrengend und selbst bei allerbester Vorbereitung ist der kurz- und langfristige Erfolg keineswegs garantiert. Immerhin sind die Rollen und Zuständigkeiten klar definiert: Der Veranstalter ist der Bezahler und der Musiker ist der Dienstleister und jeder Ton extra kostet auch extra.

„Künstler entdecken, Gastgeber finden, Konzerte besuchen“ – das ist das Credo von SofaConcerts, zumindest was real stattfindende Kleinstkonzerte anbelangt. Die Konstellation bei Online-Konzerten ist ähnlich, aber weil das „Korrektiv“ der menschlichen Begegnungen fehlt, bleibt alles auf Optik und Wirkung reduziert. Es MUSS auf dem Bildschirm gut aussehen, d.h. Licht, Ton und Kameraführung müssen stimmig sein. Ebenso wichtig ist die technische Umsetzung am Veranstaltungsort, also Bildschirm und PA-Anlage. Das lässt sich heutzutage alles mit wenig Aufwand realisieren und es wird auch kein Personal für die Bedienung gebraucht. „Do it yourself“ ist allerorts angesagt, wegen der Kosten…

Für Musiker wird es eine gewaltige Herausforderung sein, Angebote zu entwickeln, die möglichst vielen Anforderungen aka Verdienstmöglichkeiten gerecht werden können. Eine „Unterhaltung für die Familienfeier“ ist halt etwas anderes als der „Heiratsantrag mit Live-Musik“, ein „After-Work Konzert“ oder „Musik für Trauerfeier oder Beerdigung“. Immerhin wird bei SofaConcerts Gospel als Auswahl der Musikrichtung angeboten – die damit verbundenen Angebote lassen allerdings eher auf eine rein stilistische Ausrichtung schließen. Worship ist auf jeden Fall kein Auswahlkriterium in Sachen Musikangebote. Trotzdem lassen sich unter den angebotenen Künstlern auch Interpreten aus dem frommen Umfeld finden, wie beispielsweise Jonnes (www.sofaconcerts.org/de/artists/Jonnes.):

• erfüllt 3G-Regel
• Stuttgart D
• indie pop singer songwriter
• entspannt / verträumt fröhlich / upbeat
• Solokünstler
• Eigene Musik
• Antwortet meistens innerhalb von 48 Stunden

Es lohnt sich, mal bei www.sofaconcerts.org aus Hamburg vorbeizuschauen und sich über die Angebote und Möglichkeiten zu informieren. Besonders informativ ist die Rubrik „Ein Online Konzert veranstalten – Alles Wissenswerte über virtuelle Konzerte per Livestream“. Ja, so etwas wie SofaConcerts könnte man sich auch für die fromme Musikszene vorstellen, weil es dringend notwendig ist, den Interpreten und den Veranstaltern neue Türen zu öffnen durch eine alltagsgeeignete Verbindung von Angebot und Nachfrage. Und wenn ein Projekt mit geringstem Aufwand und Risiko funktioniert, dann darf es beim nächsten Mal gerne etwas mehr sein von allem. So wie es immer üblich war.

Hans-Martin Wahler

NS: Angesichts der Ereignisse des heutigen Tages in der Ukraine stellt sich die Frage nach der Relevanz sämtlicher Aktivitäten im Bereich Musik und Kultur. Was die zu erwartende Corona-Pause an Entstressung hätte bieten können und sollen, wird nun neutralisiert durch Ereignisse, deren Auswirkungen markante Spuren in unserem täglichen Leben hinterlassen werden. Wir werden in Zukunft in besonderer Weise gefragt sein, Orientierung zu bieten. Konzerte in kleinem Rahmen können dabei eine überaus wichtige Rolle spielen.




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